
Winterzauber mit Minzschokolade
©Mela Wagner 2025
Kapitel 1 - Ida
Alles, wonach ich mich sehnte, waren ein gutes Buch, ein Chai Latte und die selbst gestrickten Kuschelsocken, die ich vergangenes Jahr von einer meiner Schülerinnen geschenkt bekommen hatte. So sehr ich den Unterricht in der Klasse liebte, so hektisch und intensiv ging es zu dieser Zeit in der Schule zu. Es war ein einziges Durcheinander, in dem jeder Einzelne heimlich die Stunden bis zu den Feiertagen zählte. In den Einkaufsstraßen sah es ähnlich aus. Beim Buchladen um die Ecke bildete sich bereits eine meterlange Menschenschlange. Die meisten Leute hatten genervte Gesichter. Sie waren scheinbar gleichzeitig auf die grandiose Idee gekommen, dass Bildschirme viel zu intensiv genutzt wurden und echte Papierseiten besser rochen als der heißgelaufene Akku eines Computers. Etliche Male predigte ich meinen Schülerinnen und Schülern, dass sie die Feiertage nutzen sollten, um der Scrolling-Welt zu entfliehen, um lieber in Geschichten einzutauchen, die man nicht im Sekundentakt aktualisieren konnte. Kurz bevor ich den Laden betrat, knurrte mein Magen so laut, dass es selbst mein Vordermann nicht überhören konnte. Entschuldigend verzog ich den Mund und spontan kam mir der Gedanke, ob ich meinen Einkauf nicht doch bei einem Online-Händler erledigen sollte, bloß um diesem Wahnsinn zu entgehen. Dazu müsste ich aber meine Prinzipien über Bord werfen. Die kleinen Geschäfte sollten auch unterstützt werden. Noch dazu erschien genau heute der neue Band meiner Lieblingsautorin. Seit Wochen zählte ich die Tage bis zur Fortsetzung. In der weihnachtlichen Shopping-Polonaise, mit Straßenmusik im Hintergrund, arbeitete ich mich minütlich ein paar Schritte vorwärts. Während eine Menschentraube versuchte, sich in Richtung Innenstadt fortzubewegen, schob sich die andere in den Buchladen. Zwischen Leuchtreklamen, Abverkaufsschildern und Lichterketten, die in allen Farben blinkten, tickte der unsichtbare Weihnachtscountdown. Der Duft gebrannter Mandeln, vermischt mit Schweiß, der sich bei meinem Vordermann unter seiner dicken Daunenjacke gebildet hatte, stieg mir in die Nase. Wäre da nicht das Finale der Romanreihe gewesen, hätte ich in diesem Moment kapituliert und zu den Gutscheinen gegriffen.
***
Es dauerte vier Stunden bis ich meine Liste abgearbeitet hatte und völlig erschöpft die fünf Stockwerke bis zu meiner Altbauwohnung in der Münchner Innenstadt erklomm. Ich hatte meine Vorfreude und einen Großteil meines Gehalts an der Kasse liegen gelassen und dafür eine Einkaufstüte voller Geschenke ergattert. In den überfüllten Lebensmittelladen brachten mich keine zehn Pferde mehr und so konnte ich zum Abendessen zwischen den übrig gebliebenen, selbst gebackenen Keksen meiner Klasse oder den Resten des Weihnachtsstollens meiner Nachbarin wählen. Beides waren Kalorienbomben, vollgepackt mit all dem, was sich sofort auf der Waage bemerkbar machen würde. Aus Mangel an Alternativen schob ich mir ein paar Kekse in den Mund. Schneller als der Zucker meinen Insulinspiegel in die Höhe treiben konnte, wuchs das schlechte Gewissen.
Überzuckert und abgekämpft nahm ich mein Handy in die Hand, das seit einer halben Stunde durchgehend vibrierte. Bestimmt war es meine Mama, die sicherstellen wollte, dass ich ihr zuerst einen Besuch abstatten sollte und bloß nicht auf die Idee kam, vorher bei Papa zu läuten. Oder es waren die Kids aus meiner Klasse, die den Arbeitsauftrag etwas zu ernst nahmen.
Dreiundzwanzig Anrufe von einer unbekannten Nummer – seltsam!
Zwei Weihnachtsgeschenkübergaben als Bild von Luise und Sarah – wie niedlich! Sie fuhren dazu extra ins Tierheim.
Flüchtig blickte ich auf die Uhr, die über meiner Wohnzimmertür hing. Kurz nach acht. Wer war dieser Anrufer? Womöglich erlaubte sich einer meiner Schüler einen Streich? Ihnen spontan meine Telefonnummer auszuhändigen, um die Hausaufgabe zu lösen, war möglicherweise nicht sonderlich klug gewesen. Durch den Ton einer eingehenden Textnachricht schreckte ich hoch und ließ das Handy beinahe zu Boden fallen. Im letzten Moment bekam ich es zu fassen. Das Display leuchtete auf. Die Nachricht stammte von der Nummer, die mich zuvor dreiundzwanzig Mal kontaktiert hatte.
Hier Laci – Lois Aigner Pfleger. Bitte rufen dringend zurück.
Lois? Opa Lois? Was war passiert? Ohne weiter nachzudenken, drückte ich die Rückruftaste.
»Hallo?« Erst hörte ich ein Knacken, dann ein Rauschen. »Hallo?«
»Frau Ida?« Die Stimme am anderen Ende kannte ich nicht.
»Ja, ich bin Ida. Was ist passiert?« Das Herz donnerte in meiner Brust. Jegliche Höflichkeitsfloskeln ließ ich außer Acht.
»Oh, Frau Ida. Zum Glück – ich dich erreichen.« Ich vernahm einen starken Akzent. »Ich Lois’ Pfleger, Laci.«
Lois war Moritz’ Opa. Moritz war meine erste große Liebe.
Moritz brach mir das Herz - Ende der Geschichte!
Warum rief der Pfleger seines Opas also an?
-2.png)