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Auszug aus dem Roman
'Restart - Die Begegnung' Teil1
von Mela Wagner

 

Prolog

»Leni, atme … hörst du mich, du sollst atmen!« Sie rüttelt heftig an meinen Schultern. Gedämpft nehme ich ihre Stimme wahr, ich sehe sie, ich spüre sie, doch nichts davon kommt bei mir an. Hilflos wie ein kleines Kind starre ich vor mich hin. Ich bin ein Kind! Gerade einmal siebzehn Jahre alt. Da kann man noch nicht von einem Erwachsenen reden. Ich sitze auf dem zugedeckten Klodeckel in dem Bad meiner besten Freundin. Die weißen Fliesen mit den akzentweisen bunten Luftballons darauf beeindrucken mich in diesem Moment und ziehen meine volle Aufmerksamkeit auf sich. Für Ellis Alter vielleicht etwas kindlich, doch sie kleben dort sicherlich schon seit fünfzehn Jahren. So lange ich Elli kenne. Alle Luftballons schweben in eine Richtung. Am Ende der Schnur hängt immer ein kleiner, lachender Teddybär. Starr bleibt mein Blick auf der verspielten Zeichnung haften. Zum ersten Mal betrachte ich die altmodischen Verzierungen. Der Wasserhahn neben der Toilette tropft und hinterlässt ein dumpfes, hartes Geräusch. Klack, klack, klack … Langsam, ruhig, monoton. So wie mein Herzschlag. Eigentlich sollte ich ausflippen, durchdrehen, verzweifelt schreien, heulen, schluchzen, und das alles zugleich, ohne mich dafür schämen zu müssen. Jeder verstünde in dieser Situation meinen Gefühlsausbruch. Stattdessen sitze ich hier und befinde mich in einem seltsamen Ruhemodus, der mich verunsichert. Doch ich kann an meinem Zustand nichts ändern. Beharrlich bleibt mein Interesse an den Fliesen hängen, die mich auf seltsame Weise in den Bann gezogen haben. Sollte man sich in diesem Moment nicht freuen? Wenn ich es mir eingestehe, kommt dieses Gefühl auch für einen Wimpernschlag auf, doch zugleich mahnt mich meine Vernunft, mein Gewissen, den gesellschaftlichen Normen zu entsprechen, und verurteilt meine Freude völlig.

»Bitte sprich mit mir, du machst mir Angst …«, höre ich Elli auf mich einreden.

Ihre Stimme klingt so lieblich und einfühlsam, leise und verständnisvoll und zugleich schwingt so viel Furcht und Mitleid mit. Ich merke, wie sich eine Träne in meinem Augenwinkel bildet, darauf wartet, bis sie groß genug ist, um sich still und leise den Weg über meine Wange zu bahnen. Um meinen Hals schnürt sich ein Band, das meine Atmung immer langsamer werden lässt. Ganz von selbst rutscht es zu meinem Herzen hinunter und zieht sich immer fester zusammen. Es ist kein normales Band, dessen Kraft und Enge schon ausreichen würde, um meinem Herzen Schaden zuzufügen. Es fühlt sich mehr wie ein Stacheldrahtband an, das sich mit jeder scharfen Spitze in mein Herz hineinbohrt – es zum Bluten bringt und ihm dabei große Verletzungen zufügt. Wie soll ich atmen, wenn es sich immer enger zusammenzieht?

»Soll ich Paul holen?« Sie kniet sich vor mich, hält meine Hände und schaut mich fragend an. Paralysiert starre ich auf die Teddybären mit den Luftballons und höre das Wasser im Hintergrund, wie es auf das Keramikwaschbecken klopft. Klack, klack, klack … Erst als sie mich wieder kräftig schüttelt, wage ich, in ihre Augen zu schauen.

Doch ihre feinen Züge, der liebliche Schwung ihrer Lippen, ihre kleine Stupsnase und die feinen blonden Haare, die ihr Gesicht sonst immer so schön umschmeicheln, verschwimmen und tauchen sie in einen Nebel. Ich senke meine Wimpern und merke, wie die Tränen hinunterlaufen. Selbst wenn ich es versuche sie anzuschauen, gelingt es mir nicht, da das Wasser in meinen Augen die Sicht trübt. »Leni. Bitte rede mit mir … du machst mir Angst.«

Panik – die sich wie ein dunkler Mantel über meinen Körper legt und mich lähmt. Ich will ihr antworten, doch ich bin stumm. »Ich hole jetzt Paul …«, meint sie energisch und will aufstehen.

»Nein!« Mit belegter, rauer, kehliger, doch deutlich hörbarer Verneinung packe ich sie am Handgelenk.

»Dann rede mit mir … wie kann ich dir helfen?«, sie kniet sich erneut nieder und wartet auf meine Reaktion – vergeblich!

»Ich weiß nicht …«, flüstere ich gequält. »Ich weiß nicht …«, wiederhole ich mich. Schniefend schaue ich auf meine Hände, »… ich weiß nicht, was ich machen soll!«

»Ihr schafft das schon. Hey, ihr seid Leni und Paul! Was kann schon zwischen euch kommen?« Sie versucht mich aufzumuntern, gibt mir einen kleinen Stoß mit ihrem Ellbogen, doch nur die Worte Leni und Paul kommen bei mir an, die in meinem Kopf wie ein Mantra ablaufen. »Leni und Paul, Leni und Paul … Leni und … Leni … Was soll ich nur machen?«

 

Eins

 

»Frau Ames, wie geht es Ihnen heute?«

»Nicht anders als letzte Woche!«, antworte ich emotionslos.

»Beschreiben Sie ihre Stimmung …« Wie ich diese Sitzungen hasse. Jede Woche dieselben Fragen. Ich fühle mich wie hinter einem Panzerglas eingesperrt. Vor mir spielt sich alles ab – und auch wieder nichts. Ich bin die Zuschauerin meines eigenen Lebens. Eine Beobachterin. Die Leute unterhalten sich hinter dieser Glasscheibe, die jegliche Wahrnehmung dumpf erscheinen lässt. Sie reden mit mir, stellen mir Fragen, doch alles, was ich registriere, sind phlegmatische Aneinanderreihungen von Worten. Leise, unantastbar, belanglos – sie erreichen mich nicht. Es berührt mich nicht, noch kratzt es an der Oberfläche, oder weckt Interesse – oder die Emotion, die das Gesprochene auslösen sollte. Jedes Gespräch, jede Begegnung in meinem Leben kommt mir so geisttötend und gehaltlos vor. Ich bin teilnahmslos und desinteressiert, um nicht zu sagen apathisch.

Ich bemerke die Veränderungen um mich, doch ich reagiere nicht darauf.

Ich funktioniere, und das schon seit einiger Zeit. Ein Gefühl, als würde ich an der Oberfläche des Wassers schwimmen – den Blick zum dunklen Nachthimmel gerichtet, die Ohren unter dem kühlen Nass. Um mich sind Stimmen, doch das Einzige, was mich daran erinnert am Leben zu sein, ist das Herz, das kräftig in meiner Brust schlägt und alles andere übertönt. Ein schwebendes, schwereloses Dasein. Etwas in mir wehrt sich vehement dagegen, schreit in mir – will mich wachrütteln.

Wach – endlich – auf!

Mein Leben zieht an mir vorbei und ich bekomme es nicht einmal mit. Was hält mich in diesem Zustand? Die Ruhe, die Abgeklärtheit, die Schutzmauer vor Verletzungen – das Schweigen! Sie sind die Wächter meines Seelenfriedens. Doch um mich drängen sich Menschen, Worte, Erinnerungen, Begebenheiten. Sie wollen meinen Seelenfrieden stören. Stellen mir unangenehme Fragen, die ihnen Einlass gewähren sollen.

Mit Oberflächlichkeit habe ich mich meistens über alles hinweggerettet. Die Menschen wollen nur alltägliche, inhaltslose und flüchtige Antworten haben. Ein Theater von Protagonisten auf der Bühne, die einem das Leben, die Liebe und die Freude vorspielen. Keiner interessiert sich für das, was dahinter versteckt ist. Den Hass, die Angst und den Zweifel. Sie haben nichts in meiner Welt zu suchen. Darum begnügen sich alle mit der Antwort: »Danke, es geht mir gut.« Wer um Gottes Willen will hören: »Ich lebe und wache jeden Tag auf – ob ich will oder nicht!« Deshalb gebe ich ihnen, was sie wollen. Oberflächliche Antworten.

Ich blicke desinteressiert aus dem hohen Altbaufenster in den grauen, tristen Himmel hinaus. Spielend drehe ich den Ring an meinem Finger. Mein Plan bislang hat gut funktioniert. Kein einziges Mal in den letzten zehn Jahren habe ich nur in Betracht gezogen, dass ich jemals in die Enge getrieben werden könnte. Diese zehn Jahre haben mich reifen lassen – auf die Art und Weise, wie ich es für mein Leben als richtig erachte – und mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Eine toughe, karriereorientierte, selbst disziplinierte und ehrgeizige Geschäftsfrau. Doch Dr. Goldmann treibt mich nun wieder in die Enge. Er weiß genau, welche Fragen er stellen muss, und drückt die richtigen Knöpfe, die die Mauer vor mir mit jeder Begegnung, jeder Sitzung etwas mehr schwinden lassen. Ich bin in seiner Gegenwart hilflos, schutzlos ausgeliefert und sollte eigentlich fliehen. Flucht ist ein Urtrieb von uns Menschen. Manche kämpfen … ich flüchte. Ich flüchte schon mein ganzes Leben. Oder zumindest die letzten zehn Jahre, was das Zulassen von belanglosen Gefühlen angeht.

Meine Emotionen habe ich vor langer Zeit auf ein Minimum heruntergefahren. 

Ich überlege kurz. »Ich bin ungeduldig, habe Angst und fühle mich nutzlos …« Das ist eine gute Antwort. Nur nicht zu viel verraten.

Dr. Goldmann mustert mich und überlegt sich seine nächste Frage. Der Seitenscheitel, die Hornbrille und sein akkurater Modestil schenken ihm einen vertrauenswürdigen, gepflegten Eindruck. Er verkörpert das Paradebeispiel eines Therapeuten. Dunkle, altmodische Kleidung, glatt rasiert, ein dezentes, herbes Rasierwasser und eine farblich abgestimmte Füllfeder mit einem Notizbuch. In Braun gehaltene, luxuriöse, massive Möbel, ein gigantisch großer Schreibtisch und eine gemütliche Sitzgruppe aus schwerem, gemustertem Stoff machen seine Praxis zu einem Ort, der einladend und angenehm wirken soll. Alles in dezenten Tönen, um nicht die Aufmerksamkeit der Patienten zu stören. Er sitzt mir, wie jedes Mal, in einem schwarzen, großen Ledersessel gegenüber. Das warme Licht der Schreibtischlampe verschafft dem Raum die nötige Stimmung. 

Die Beine übereinandergeschlagen, mit seinen Schreibunterlagen in der Hand – bereit, alles zu notieren, was aus meinem Mund kommt. Seine Praxis befindet sich in einer Fußgängerzone im Herzen von Wien mit Blick über die alte Oper.

Jedes Mal mit meinen High Heels hierherzukommen wäre eigentlich schon Herausforderung genug. Noch dazu befindet sie sich im obersten Stockwerk eines Altbaus mit einem in die Jahre gekommenen Aufzug, den ich nur mit vorgehaltener Pistole betreten würde, und dann noch diese unangenehmen Fragen, denen ich mich jede Woche stellen muss.

»Warum haben Sie Bedenken?«, reißt er mich aus den Gedanken. Was meint er damit?

Vielleicht, weil ich Angst habe, niemals schwanger werden zu können! Weil ich an mir zweifle! Alles ist ein Schein!

Ein Leben aneinandergereihter Tage, die mal heller und mal dunkler sind, doch niemals das Wahrhaftige, das Leben in seiner Schönheit und Vielfalt zum Ausdruck bringen. Es ist nicht so, dass ich nicht weiß, was meinem Leben fehlt. Ich durfte es mit meinem Herzen spüren, was es zu bieten hat. Die Sonnenseite, die Leichtigkeit und Freude. Doch das ist schon lange her – so lange, dass es sich gar nicht mehr wie etwas anfühlt, das ich erlebt habe, sondern wie die Erinnerung an etwas, was man als Außenstehender mitverfolgt hat. Aus einer gewissen Entfernung.

Tief in mir weiß ich, dass ich etwas ändern sollte. Doch wie zum Teufel soll ich das meinem Verstand begreiflich machen? »Ich fürchte mich vor der Zukunft …«, gebe ich sehr bedacht und überlegt von mir. Vorsichtige und sorgfältig ausgewählte Antworten – um ja nicht zu viel Emotion in die Sache hineinzulegen.

»Was fürchten Sie denn?« Innerlich verdrehe ich meine Augen. Warum müssen Therapeuten immer mit einer Gegenfrage antworten? Ich würde mir viel Geld sparen, wenn ich jeden meiner Gedanken einfach hinterfragen würde, und das so lange, bis ich zu einer ernüchternden Erkenntnis komme: Ich will diese Fragen gar nicht beantworten.

Ich säße nicht hier, wenn mein Mann mich nicht dazu nötigen würde. Wir versuchen seit fünf Jahren ein Kind zu bekommen. Viele Untersuchungen, die schlussendlich nur dazu führten, dass ich mich jetzt beim Therapeuten mit unangenehmen Fragen plagen muss. Die Ärzte meinten, organisch wäre alles mit uns beiden in Ordnung. Warum klappt es dann verdammt noch mal nicht?

»Weil mein Körper unfähig ist, ein Kind zu empfangen …«, gebe ich genervt von mir. Bei der vielen Arbeit, die in meinem Büro auf mich wartet, ist mein Gemütszustand auch kein Wunder. Ich verliere durch die Sitzungen hier jedes Mal mindestens zwei Stunden, die ich nützlicher verbringen könnte.

»Frau Ames, ich verstehe Ihre Wut und den Zweifel. Vielleicht können Sie mir auf einer Skala von eins bis zehn Ihren Gefühlszustand beschreiben. Wo befinden Sie sich heute?«

»0«, schießt es aus mir heraus. »An manchen Tagen vielleicht zwei oder drei …« Ich habe Dr. Goldmann selten sprachlos gesehen, doch anscheinend war es nicht die Antwort, mit der er gerechnet hat.

»Frau Ames, sind Sie sich bewusst, dass die Zahl Null den Gefühlszustand beschreiben soll, an dem man am Ende seiner Kräfte ist, und …«, er stoppt kurz.

»… nicht mehr leben will …«, beende ich seinen Satz. »Dann ist Null passend.«

Er räuspert sich, atmet tief durch, während er seine Sitzposition ändert und mit seinem Kugelschreiber auf den Notizblock tippt.

»Hatten Sie schon einmal Suizidgedanken?«, stellt er seine nächste Frage – für mein Verständnis etwas zu plötzlich, sodass es mich etwas aus dem normalerweise so sorgfältig einstudierten Konzept bringt. Ich habe einfach nicht mit einer so direkten, indiskreten Frage gerechnet. Wer fragt schon jemand anderen, ob er sich schon mal umbringen wollte?

Doch anscheinend geht der Plan von Dr. Goldmann, mich aus der Fassung zu bringen, um eine Reaktion zu provozieren, auf. Was soll die Frage? Natürlich nicht nur einmal! Kann ich das laut sagen? Oder sperrt er mich dann gleich in die Klappsmühle? Ich blicke auf meine mit Diamanten eingefasste Armbanduhr. Ein Weihnachtsgeschenk meines spendablen Mannes. Noch dreißig Minuten. Ich atme tief durch. Wie soll ich nur die Zeit mit ihm überstehen?

»Wie kommen Sie darauf?«, gebe ich schnippisch von mir. Eigentlich geht ihn das gar nichts an. Er schenkt mir ein leichtes Lächeln. Ich weiß, ich weiß, keine Gegenfragen. Nur, wie soll man sich sonst verhalten, wenn man mit seinem dunkelsten Geheimnis konfrontiert wird?

»Weil Patienten sich normalerweise bei drei oder vier einpendeln.« Warum muss er immer so gefasst reden?

»Bin ich deswegen jetzt nicht normal?«, gebe ich bestürzt von mir. Wenn ich vorher gewusst hätte, dass ich nicht im Durchschnitt liege, hätte ich eine andere Zahl genannt.

»Das will ich nicht sagen, doch wir sollten beginnen, offen darüber zu reden, warum Sie sich auf einer NULL befinden.« Er legt seinen Kopf schief, betont dabei die Zahl besonders hart und mustert mich, ohne dabei seine Miene zu verändern. Aus ihm wird man einfach nicht schlau.

»Ja! Ich hatte schon manchmal diese Gedanken.« Zufrieden? Kann ich jetzt wieder gehen?

»Wann?« Mindestens einmal im Jahr. Manchmal sogar zweimal.

»Ich war noch ein Teenager …«, gebe ich beiläufig von mir und versuche dabei so gelangweilt wie nur möglich zu wirken, um mich nicht bei meiner Lüge erwischen zu lassen. Ein erneuter Blick auf meine Uhr verrät mir, dass ich ihm mit einer Antwort so schnell nicht auskommen werde. Langsam finde ich das hier nicht mehr lustig.

»Was ist damals passiert?«

Ich atme tief aus und stöhne dabei genervt. »Dr. Goldmann, das ist schon so lange her. Ich kann es Ihnen nicht sagen, denn ich erinnere mich nicht mehr.« Man muss kein Therapeut sein, um zu erkennen, dass ich ihm gerade nicht die Wahrheit sage.

»Sind die Erinnerungen zu schmerzhaft?«

»Ich weiß es nicht mehr …«

»Frau Ames, wenn Sie nicht versuchen etwas zu kooperieren, wird sich diese Sache sehr in die Länge ziehen. Wenn Ihnen das recht ist, ist es für mich in Ordnung. Doch so kommen Sie nie an Ihr Ziel …«, er fixiert mich eindringlich.

Mein Ziel. Was ist mein Ziel? Der Gedanke daran lässt meine Augen feucht werden. Ein kleines Mädchen mit blondem Haar und grünblauen Augen. Eine Wunschvorstellung, die niemals Realität werden wird. Heimlich, ohne das Wissen meines Mannes, habe ich mich schon bei einer Adoptionsvermittlung informiert. Mein derzeitiger Zustand ist nicht mehr auszuhalten. Ich ertrage den Anblick schwangerer Frauen, die mir an jeder Straßenecke glücklich strahlend entgegenkommen und lachen, nicht mehr. Sie haben dieses ganz bestimmte Lächeln im Gesicht. Ein Gemisch aus Freude, Hoffnung und unsagbar großer Liebe. Mein Herz verkrampft sich jedes Mal und ich kann nur neidisch auf ihre wachsende Kugel blicken.

»In einer Woche ist mein zehnjähriges Klassentreffen …«, gebe ich seufzend von mir, um vom Thema abzulenken.

»Gehen Sie hin?«

»Ich glaube nicht. Ich war bei keinem Klassentreffen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich keine Lust hatte …«

»Haben Sie diesmal Lust?«

»Ich glaube nicht …«

»Vielleicht ist es gar keine schlechte Idee, dort hinzugehen.«

»Warum?« Ich bin verwirrt. Was will er damit sagen?

»Vielleicht sollten Sie dort hingehen, um sich mit Ihrer Vergangenheit zu versöhnen.«

Versöhnen? Warum müssen diese Psycho-Docs immer mitten ins Schwarze treffen? »Das ist nicht so einfach …«

»Wollen Sie mir davon erzählen?«

»Ich weiß nicht, was ich erzählen soll.« Ich merke, wie sich mein ganzer Körper verspannt.

»Es ist anscheinend etwas passiert, das Sie bis heute belastet. So viel ist klar. Wenn Sie nicht beginnen, sich zu öffnen, und Ihre Gefühle von damals zulassen, bleiben Sie an der gleichen Stelle stehen.« Er beginnt, sich zu wiederholen!

»Vielleicht ist die Stelle, an der ich mich befinde, gar nicht so schlecht.«

»Frau Ames, ich weiß, das Zulassen und Sich-Öffnen, um etwas an sich heranzulassen, kann oft sehr schmerzhaft sein, begleitet von dem Gefühl der Machtlosigkeit, die Zügel des eigenen Lebens aus der Hand geben zu müssen. Doch zugleich kann es auch sehr erleichternd und befreiend sein.«

Vielleicht hat er recht!? Warum sollte ich mich meiner Vergangenheit nicht stellen. Es sind viele Jahre vergangen und ich bin reifer geworden. Ich lasse mich nicht mehr so schnell aus dem Konzept bringen. Ich bin eine Geschäftsfrau. Eine verdammt gute! Ich sehe es als reine Verhandlung an, eine Schlacht, in die ich ziehe und aus der ich als Siegerin herauskommen werde. Ich bin stark und niemand wird daran zweifeln. »Ich überlege es mir, ob ich hingehen werde …«

»Das finde ich gut. Wir sind heute einen großen Schritt weitergekommen …«

 

 

Auszug aus dem Roman 'Restart - Die Begegnung'. Veröffentlichung 31.Oktober 2013.

© Mela Wagner, 2013, Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

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